ZEIGEN
Eine Audiotour durch Berlin
mit 400 in Berlin lebenden Künstlern
Kuratorin: Karin Sander, Berlin/Zürich Temporäre Kunsthalle | Schlossplatz | Berlin-Mitte
5. Dezember 2009 bis 10. Januar 2010
►Rezension
Beitrag von Dietmar Kirves [Codenummer 249]: Boris Lurie spricht auf den Anrufbeantworter
von Dietmar Kirves am 25. August 2003
Boris Lurie ist der Mitbegründer
der NO!art-Bewegung
Die Temporäre Kunsthalle Berlin präsentiert in der von Künstlern kuratierten Ausstellungsreihe das Projekt Zeigen. Eine Audiotour durch Berlin von Karin Sander mit je zweiminütigen Beiträgen von 566 in Berlin lebenden und arbeitenden Künstlerinnen und Künstlern.
In der Kunsthalle finden die Besucher lediglich die Namen der beteiligten Künstler vor, die umlaufend auf den weißen Wänden wie eine Werkbeschilderung angebracht sind. Die Werke selbst bleiben zunächst unsichtbar — der Raum scheint auf den ersten Blick leer. Das übliche Ausstellungsformat und die damit verbundenen Erwartungen unterlaufend, hat Karin Sander Künstlerkolleginnen und -kollegen eingeladen, die eigene künstlerische Arbeit in einen akustischen Beitrag zu übersetzen und auf diese Weise „sichtbar“ zu machen. Die sehr unterschiedlichen Umsetzungen — darunter performative, gesungene, frei gesprochene oder vorgelesene — lassen sich einzeln über einen Audioguide abrufen. Auf diese Weise eröffnet sich dem Publikum eine Wahrnehmungsebene, die vom gewohnten visuellen Erfassen von Kunstwerken zu einem auditiven, imaginativen Erlebnis hinführt und unterschiedlichen Vorstellungen Raum gibt.
Die Konzeptkünstlerin Karin Sander entwickelt ihre Arbeiten in Auseinandersetzung mit den räumlichen und sozialen Hintergründen vorgefundener Situationen und untersucht damit die komplexen Beziehungen zwischen Kunstwerk, Institution und Betrachter. Mit Zeigen. Eine Audiotour durch Berlin realisiert sie ein Ausstellungsprojekt, das unterschiedliche künstlerische Positionen und Arbeitsweisen zusammenführt. Seit 2003 arbeitet Karin Sander an einem Audioarchiv, für das sie Künstler einlädt, ihre Arbeiten in eine akustische Form zu übertragen. Einzelne Beiträge wurden bereits in diversen Ausstellungen präsentiert. Erstmals vereint sie in der Temporären Kunsthalle Berlin eine große Zahl an Statements und ermöglicht damit einen ungewöhnlichen Einblick in die aktuelle Kunstproduktion der Stadt.
Anlässlich der Ausstellung erscheinen eine Publikation im Verlag der Buchhandlung Walther König und eine limitierte Edition.
Saâdane Afif, Carla Åhlander / Gernot Wieland, Nader Ahriman, Nevin Aladag, Stefan Alber, Erik Alblas, Sonja Alhäuser, Bettina Allamoda, Heather Allen, Pablo Alonso, D-L Alvarez, Matthew Antezzo, John Armleder, Ole Aselmann, Martin Assig, Marius Babias, Mona Babl, Elvira Bach, Florian Bach, Frank Badur, Fritz Balthaus, Heike Baranowsky, Gabriele Basch / Maurice de Martin, Rui Calçada Bastos, Florian Baudrexel, Michael Bause, T.R. Becker, Tjorg Douglas Beer, Birgit Bellmann, Benjamin Bergmann, Christine Berndt, Anne Berning, Michael Beutler, Nicole Bianchet, Gerry Bibby, Marc Bijl, Norbert Bisky, Caroline Bittermann, Kristleifur Björnsson, John Bock, Katinka Bock, Armin Boehm, Hartmut Böhm, Heike Bollig, Monica Bonvicini, Shannon Bool, Susanne Bosch, Pauline Boudry / Renate Lorenz, Daniela Brahm, Marc Brandenburg, Monika Brandmeier, Barbara Breitenfellner, Mari Brellochs, Micha Brendel, Birgit Brenner, Agnieszka Brzezanska, Nine Budde, Matthew Burbidge, BURGHARD, Katarina Burin, Stefanie Bürkle, Susanne Bürner, André Butzer, Pash Buzari, Janet Cardiff / George Bures Miller, Eva Castringius, Libia Castro & Ólafur Ólafsson, Antonio Catelani, Jessica Centner, Paolo Chiasera / Alex Trebo, Helen Cho, Clegg & Guttmann, Kerstin Cmelka, Daniela Comani, Martin Conrads, Martin Conrath / Marion Kreißler, Natalie Czech, Camilla Dahl, Björn Dahlem, Martin Dammann, Mariechen Danz, Paul Darius, Ronald de Bloeme, Michel de Broin, Christine de la Garenne, Jana Debrodt, Christiane Dellbrügge & Ralf de Moll, Dieter Detzner, Frank Diersch, Peter Dittmer, Ursula Döbereiner, Peter Dobroschke, Jason Dodge, Paula Doepfner, Christina Doll, Tatjana Doll, A K Dolven, Johanna Domke, Antje Dorn / Lukas Lonski, Hannah Dougherty, Margarete Dreher, Ruprecht Dreher, Jürgen Drescher, Arnold Dreyblatt, Sven Drühl, Peter Duka, Jimmy Durham, Mikala Dwyer, Bogomir Ecker, Knut Eckstein, Maria Eichhorn, Frauke Eigen, Dörte Eißfeldt, Paul Ekaitz, Nezaket Ekici, Robert Elfgen, Thomas Eller, Elmgreen & Dragset, Slawomir Elsner, Annika Eriksson, Ayse Erkmen, Esra Ersen, Ueli Etter, EVA & ADELE, Simon Faithfull, Faller / Mieth / Stüssi / Weck, Anna Fasshauer, Valérie Favre, Friederike Feldmann, Peter Fend, Rainer Fetting, Berta Fischer, Nina Fischer & Maroan el Sani, Wolfgang Flad, Ulrike Flaig, Christian Flamm, Jean Pascal Flavien, Thomas Florschuetz & Carla Guagliardi, Carsten Fock, Gunda Förster, Olivier Foulon, Heiner Franzen, Hanna Frenzel, Marten Frerichs, Pia Fries / Hans Brändli, Barbara Frieß, Bernard Frize, Tom Früchtl, Simon Fujiwara, Tine Furler, Taro Furukata, Dani Gal, Heike Gallmeier, Bernhard Garbert, Kati Gausmann, Axel Geis, Stella Geppert, Patrycja German, Torben Giehler, Milena Gierke, Andrew Gilbert, Annette Gödde, Claus Goedicke, Thorsten Goldberg, Undine Goldberg, Erik Göngrich, Delia Gonzalez, Douglas Gordon, Kerstin Gottschalk, Sabine Groß, Katharina Grosse / Michael E. Smith, Lilly Grote, Asta Gröting, Eva Grubinger, Beate Gütschow, Terry Haggerty, Mathew Hale, Hlynur Hallsson, Atalayman Haluk, Friederike Hamann, Sebastian Hammwöhner, Jens Hanke, Elín Hansdóttir, Erla S. Haraldsdottir, Joe Hardesty, Ellen Harvey, Bertram Hasenauer, Christian Hasucha, Mona Hatoum, Tobias Hauser / Hermann Bohlen, Elisabeth Hautmann, Eberhard Havekost, Claire Healy & Sean Cordeiro, Swetlana Heger / Billy Davis, Isabel Heimerdinger, Valeria Heisenberg, Hans Hemmert, Uwe Henneken, Anton Henning, Knut Henrik Henriksen, Arturo Herrera, Swantje Hielscher, Gregor Hildebrandt, Veronike Hinsberg, Moritz Hirsch, Franz Hoefner & Harry Sachs, Christian Hoischen, Karl Holmqvist, Olaf Holzapfel, Alexandra Hopf, Laura Horelli / Anu Pennanen, Ute Hörner & Mathias Antlfinger, Sabine Hornig, Franka Hörnschemeyer, Satch Hoyt, Felix Stephan Huber, Patrick Huber, Nicolai Huch, Markus Huemer, Elvira Hufschmid, Sofia Hultén, Hideaki Idetski, Leiko Ikemura, John Isaacs, Jeroen Jacobs, Dani Jakob, Christian Jankowski, Monika Jarecka, Mona Jas & Holger Friese, Olaf Christopher Jenssen, Sven-Åke Johansson, Rolf Julius, Stephanie Jünemann, Stephan Jung, Lisa Junghanß, Johannes Kahrs, Ilona Kálnoky, Sejla Kameric, Helmut & Johanna Kandl, Eckhard Karnauke, Katharina Karrenberg, Silke Kästner, Veronika Kellndorfer, Isabel Kerkermeier, Iris Kettner, Waszem Khan, Shila Khatami, Thomas Kiesewetter, Dietmar Kirves, Christiane Klatt, Astrid Klein, Gisela Kleinlein, Heike Klussmann, Paco Knöller, Daniel Knorr, Folke Köbberling & Martin Kaltwasser, Andreas Koch, Peter K. Koch, Takehito Koganezawa, Susanne Kohler, Karsten Konrad, Korpys / Löffler, Katarzyna Kozyra, Pauline Kraneis, Ullrich Kraus, Wolfgang Krause, Clemens Krauss, Susanne Kriemann, Käthe Kruse, Christina Kubisch, Coco Kühn, Raimund Kummer, Michael Kunze, Ulrike Kuschel, Susanne Kutter, Alicja Kwade, Marcellvs L., Nick Laessing, Christin Lahr, David Lamelas, Mark Lammert, Pia Lanzinger, Sami Ben Larbi, Tim Lee, Gerda Leopold, Via Lewandowsky, Alexandra Leykauf, Axel Lieber, Deborah Ligorio, María Linares, Ute Lindner, Nikolaus List, Thomas Locher, Wiebke Loeper, Adrian Lohmüller, Susanne Lorenz, Darri Lorenzen, Antonia Low, Robert Lucander, Dieter Lutsch, Ute Mahling, Inge Mahn / Katrin Albrecht / Valentin Hertweck , Antje Majewski, Katrin von Maltzahn, Simone Mangos, Matthias Mansen, Angelika Margull, Rémy Markowitsch, Bernhard Martin, Yvette Mattern, Hans-Jörg Mayer, Matthias Mayer, Christoph Mayer chm. / Andreas Hagelüken u.a., Josephine Meckseper, Jonathan Meese, Birgit Megerle, Sandra Meisel, Bjørn Melhus, Isa Melsheimer, Florian Merkel / Jasmin Schwarz / BEEP OFF, Arwed Messmer, Yves Mettler, Dörte Meyer, Nanne Meyer, Angelika Middendorf, Ricarda Mieth, Boris Mikhailov, Yana Milev, Gerold Miller, John Miller, Igor Mischiyev, Dane Mitchell, Martin Mlecko, Christiane Möbus, Ulrike Mohr, Martin Mohr, Regina Möller, Jonathan Monk, Stephan Mörsch, Sofie Bird Møller, Jan Muche, Christl Mudrak, Wolfgang Müller, Peter Müller, Michael Müller, Matt Mullican, Anca Munteanu-Rimnic, Piotr Nathan, Hajnal Németh, Ursula Neugebauer, Neulant van Exel, Carsten Nicolai, Karina Nimmerfall, Astrid Nippoldt, Ann Noël, Jens Nordmann, Silke Nowak, Hester Oerlemans, Roman Ondak, Aya Onodera, Michael Otto, Amy Patton, Antonio Gonzales Paucar, Manfred Peckl, João Penalva, Manfred Pernice, Sandra Peters, Kristian Petersen, Mario Pfeifer, Katja Pfeiffer, Pfelder, Daniel Pflumm, Andrea Pichl, Katinka Pilscheur, Hermann Pitz, Nina Pohl, Marco Poloni, David Polzin, Sophia Pompéry, Lynn Pook & Julien Clauss, Bettina Pousttchi, Prinz Gholam, Peter Pumpler, Norbert Radermacher, Fritz Rahmann, Alexandra Ranner, Rebecca Raue, raumtaktik, von Borries / Böttger, Haleh Redjaian, Dodi Reifenberg, Inken Reinert, Berthold Reiß, Andreas Reiter Raabe, Thomas Rentmeister, Cornelia Renz / Laura Bruce, Gunter Reski, Mandla Reuter, Reynold Reynolds, Bernd Ribbeck, Tanja Rochelmeyer, Gerwald Rockenschaub, Kirstine Roepstorff, Ursula Rogg, Stefan Römer, Maya Roos, Peter Rösel, Jenny Rosemeyer, Rosen / Wojnar, Aura Rosenberg, Angela Rosenberg, Fried Rosenstock, Roth Stauffenberg, Miguel Rothschild, Steven Rowell, Annette Ruenzler, Egill Sæbjörnsson, Stefan Saffer, Anri Sala, Dean Sameshima, Maike Sander, Yorgos Sapountzis, Yehudit Sasportas, Matt Saunders, Eran Schaerf, Albrecht Schäfer, Sophia Schama, Gerda Scheepers, Jutta Scheiner, Andreas Schimanski, Hanns Schimansky, Cornelia Schleime, Ariel Schlesinger, Sebastiaan Schlicher, Les Schliesser, Gesine Schmauder, Regina Schmeken, Gunna Schmidt, Tomas Schmit, Ralf Schmitt, Gregor Schneider, Albrecht Schnider, Dennis Scholl, Frances Scholz, Eva Maria Schön, Jo Schöpfer, Henrik Schrat, Michael Schultze, Tilo Schulz, Alexandra Schumacher, Veronika Schumacher, Martina Schumacher, Hanna Schwarz, Daniel Seiple, Andreas Sell, Aurelia Sellin, Marcus Sendlinger, Eva Seufert, Catriona Shaw, Amie Siegel, Judith Siegmund, Wiebke Siem, Katharina Sieverding, Markus Sixay, Jim Skuldt, Andreas Slominski, Florian Slotawa, Raaf van der Sman, Christopher Snee, Juliane Solmsdorf, Astrid Sourkova / Markus Selg, Heidi Specker, Thomas Spielmann, Andrea Splisgar, Rainer Splitt, Martin Städeli, Klaus Staeck, Raimar Stange, Tim Stapel, Simon Starling, Julia Staszak /Olaf Mach, Erik Steinbrecher, Bente Stokke, Fiete Stolte, Roland Stratmann, Josef Strau, Jaro Straub, Marlene Streeruwitz, Katja Strunz, Asli Sungu, Shanghay Surbir, Anita Tarnutzer, Vincent Tavenne, Mathilde ter Heijne, Benedikt Terwiel, Stefan Thiel, Mirjam Thomann, Bernhard Thome, Jan Timme, Rirkrit Tiravanija, Wawrzyniec Tokarski, Christian Tonner, Bernd Trasberger, Petra Trenkel, Luca Trevisani, Mette Tronvoll, Sandra Truté, Nasan Tur, Jochen Twelker, Timm Ulrichs, Malte Urbschat, Ignacio Uriarte, Marcel van Eeden, Maria Vedder, Vlado Velkov, Till Velten, Johannes Vogl, Gabriel Vormstein, Gunnar Voss, Simon Wachsmuth, Alexander Wagner, Rolf Walz, Tian Tian Wang, Fu Wang, Ryszard Wasko, Corinne Wasmuht, Suse Weber, Heike Weber, Ina Weber, Clemens von Wedemeyer, Markus Weggenmann, Susanne Weirich, Albert Weis, Ute Weiss Leder, Peter Welz , Tilmann Wendland, Matthias Wermke / Mischa Leinkauf, Maja Weyermann, Suse Wiegand, Claudia Wieser, Eva-Maria Wilde, Berndt Wilde, Stephen Wilks , Barbara Wille, Klaus Winichner, Markus Wirthmann, Anna Witt, Karsten Wittke, Johannes Wohnseifer, Jens Wolf, Alexander Wolff, Ming Wong, Christine Würmell, Florian Wüst, Paola Yacoup, Ekrem Yalcindag, Haegue Yang, Qin Yufen, Simone Zaugg, Holly Zausner, Francis Zeischegg, Georg Zey, Ralf Ziervogel, David Zink Yi, Annett Zinsmeister, Christina Zück, Christof Zwiener.
►Karin Sander, geb. in Bensberg/Nordrhein-Westfalen (D), lebt und arbeitet in Berlin (D) und Zürich (CH). Seit 2007 hat sie eine Professur für Architekur und Kunst an der ETH Zürich. | Ausbildung: Studium an der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart und dem Whitney Program / Studio-Programm, New York. | Ausstellungen (Auswahl): 2010 Contemplating The Void, Solomon R. Guggenheim Museum, New York; 2009 Sharjah Biennale, UAE; 2008 Scape, Biennale Christchurch, NZ; 2007 Painting, The Museum of Modern Art, New York; 2006 Nichts, Schirn Kunsthalle, Frankfurt; 2004 Singular Forms (Sometimes Repeated), Solomon R. Guggenheim Museum, New York; 2002 Karin Sander, Staatsgalerie Stuttgart, (E); 2002 wordsearch, moment, New York; 2001 0101 Art in technological Times, The Museum of Modern Art, San Francisco; 1997 Skulptur. Projekte in Münster; 1995 Orientation, Biennale Istanbul; 1991 Out of sight, PS 1 Museum, New York. | Sammlungen (Auswahl): The Museum of Modern Art, New York (USA), The Museum of Modern Art, San Francisco (USA); The Metropolitan Museum, New York (USA); Museum Abteiberg, Mönchengladbach (D); Centro Galego de Arte Contemporanea, Santiago di Compostela (E); SAFN Reykjavik (IS); Kunstmuseum Stuttgart, Staatsgalerie Stuttgart (D); Stiftung für Konkrete Kunst, Reutlingen (D); Nationalmuseum Osaka (Japan); Kunstmuseum St. Gallen (CH); Sammlung Deutsche Bank (D), Hirschhorn Museum, Washington DC (USA).
REZENSION von INGEBORG RUTHE:
Hören, was nicht zu sehen ist — Kopfhörer statt Bilder Die Kunsthalle am Schlossplatz
bietet einen akustischen Überblick über Berlins Künstlerszene
in: Berliner Zeitung, 05.12.2009
BERLIN - Es hämmert. Zu jedem Schlag auf einen Nagel in einem unsichtbaren Brett ruft eine Männerstimme: „Die Temporäre Kunsthalle soll das Schaufenster der Berliner Kunstszene sein!“ Dann geht das Hämmern weiter, laut und dreist. Die Stimme und die Schläge suggerieren einem freilich, dass da jemand ein Schaufenster zunagelt, statt die Auslagen zu bewundern. Der da nagelt und ruft, muss ein ironisches Naturell besitzen — eine Art Dadaist. Und die Betreiber der privaten Kunsthalle, die bis zum Schloss-Wiederaufbau als kunstförderndes Interim dienen soll, müssen Spaß verstehen.
Abzustellen sind Geräusch und Stimme erst mit Knopfdruck. Stille. Das war Platz Nr. 257 einer Audiotour, die als höchst ungewöhnliche Aktion in der Temporären Kunsthalle am Schlossplatz von der hiesigen Künstlerszene erzählt. Der Nutzer eines solchen Gerätes, wie man es aus jedem größeren Museum kennt, hat die Wahl unter 599 Nummern. Drückt er die Nummer drei, darf er der getragenen Stimme eines Malers lauschen, der detailliert und geschichtenreich ein Gemälde mit dem Titel „Der Hirte“ beschreibt. Es sei, sagt er, drei Mal fünf Meter groß und es zeige einen Doppelkopf, auch Januskopf genannt, und dieser trage die Gesichter von Platon und Hegel. In der Bildbeschreibung tauchen später auch Nietzsche und der Heilige Geist, und Hegel dann auch noch mal als Weltgeist zu Pferde auf. Schließlich endet das Ganze in einer Kreuzigungsszene. Die Beschreibung ist höchst amüsant.
Drückt man die Nummer 455, vernimmt das Ohr deutlich den intensiven Dialog eines Steinbildhauers mit einer werdenden Skulptur: Der Meißel dringt in einen Marmorblock, der Bildhauer tut entschiedene Schläge; er arbeitet sich von außen nach innen und in den Stein hinein, wie schon Michelangelo es tat.
Bildende Kunst lebt, wie der Name schon sagt, vom Bildhaften. Möchte man jedenfalls meinen. Und sie lebt üblicherweise vom Ausgestellt-Werden. Vom Zeigen an Wänden, in Vitrinen, auf Sockeln oder Videoleinwänden also. Was aber, wenn das Zeigen durch Hören geschieht, wenn nichts zu sehen ist, man aber über Stimmen, Klänge und Geräusche zu einer bildhaften Vorstellung angeregt, geführt, ja, verführt wird? Dann handelt es sich wohl um Konzeptkunst. Sie hat den Ruf, anstrengend, trocken, unsinnlich zu sein.
Karin Sander, Künstlerin in Berlin, beweist das Gegenteil: Ihre Aktion „Zeigen“ füllt seit heute die leere weiße Kunsthalle am Schlossplatz. Es ist ein Kunstprogramm, das bei Knopfdruck ein Kaleidoskop an Bildern, Gedanken und Emotionen auszulösen vermag. Wer will, kann das viele Stunden lang tun. Die Hör-Führung durch die Kunstlandschaft Berlins, durch Ateliers und diverse Ausstellungen reicht für 18 Stunden; Kunstmasochisten dürften Erfüllung finden, geringer dosiert, ist die Führung ein originelles Erlebnis.
Vor einigen Jahren zeigte die aus Nordrhein-Westfalen stammende, an der Kunsthochschule Weißensee lehrende Sander, Jahrgang 1957, ein Porträt-Tableau von Frauen — alles Namensvetterinnen, gleichaltrige, jüngere, ältere, dunkelhaarige, rothaarige, grauhaarige und blonde, wie sie selbst. Nun geht Sanders Idee völlig weg von ihrer eigenen Person, hin zu vielen berühmten und weniger bekannten Kollegen in der Stadt. Es gibt kein einziges Kunstwerk zu sehen. In Augenhöhe befinden sich lediglich auf die Wand geschriebene Namen der beteiligten Berliner Künstler und Zahlen von 1 bis 599. Der Besucher bekommt am Counter Kopfhörer und ein simpel zu bedienendes Audio-Gerät — 80 Stück hat die Kunsthalle von einem Elektronik-Anbieter geliehen. Man wählt einfach nur die Nummer — und schon führen einen Stimme oder Werkzeug des jeweiligen Künstlers ein in sein Werk. Das kann eine sachliche oder poetische Beschreibung sein, das sind Geräusche aus dem Atelier oder vom Aufbau einer Installation oder Musikstücke — oder von jedem etwas.
Es heißt, in Berlin gebe es mittlerweile mindestens 15 000 bildende Künstler aus aller Welt, genau weiß es keiner. Den Betreibern der Kunsthalle wurde in der Vergangenheit vorgeworfen, diese überbordende Menge des Kunstschaffens in der Stadt viel zu wenig zu spiegeln. Karin Sander wagt den Mammutakt, sucht der schieren Masse allerdings mit den strengen Mitteln des Minimalismus Herrin zu werden. Sie kennt nun mindestens 599 Künstler von hier. Und die alle konnte sie tatsächlich für dieses — unsere Wahrnehmungsebene verändernde und unsere Fantasie herausfordernde — Projekt gewinnen.
Gedankenversunken gehen die Besucher nun mit ihren Kopfhörern durch die leere Halle. Der Anblick an sich ist schon ein Gesamtkunstwerk. Und dann erst noch die in Gang gesetzte Fantasie!