DIE VERWEIGERER IM POLITISCHEN TAUMEL BERLINS
Herausgegeben mit VOLKER HAUPTVOGEL
Fotos, Texte & Songs | 200 S. | 21 x 15 cm | Karin Kramer Verlag | Berlin 1983
ISBN 3-87956-148-6
 
Buchumschlag + Titelseite
KREUZBERG IST SO WUNDERVOLL
Kreuzberg 36! K 36! Von hier aus wird die zukünftige „WELTREVOLUTION" starten. Hahaha. Ein kleines Teufelchen ..., lachend hinter Belladonna-Augen. Drogen in müden Trinkerärschen! Sieg Im Voll rausch! LSD! Und was noch alles dazugehört ... Die Namen der Local-Heros klingen wie die Namen von Befreiungsbewegungen. --- Wir wollten dazugehören!
Und wir lernten, dazu zugehören, denn, dazugehören war alles. Es war nicht einfach, aber auch nicht allzu schwer: Permanente Präsenz in der Szene war der große Schlüssel ... und: ein gutes Trinkvermögen! Die Aura des Drogenhandels und der ANARCHIE umgaben uns! Wir waren voll dabei!
Ja, und der Geruch Kreuzbergs: Das war der Geruch schlecht gesäuberter, dreckiger Straßen, des Geruchs vom Öl schneller Motorräder, der Geruch von ausgelaufenen Bier- und Schnapsflaschen, der Geruch von eingefettetem Leder, der Geruch von verqualmten Kneipen, der Geruch von ...
Wir gewannen an Selbstsicherheit in der rohen und oft von Rauschexzessen geprägten typischen KREUZBERGER SZENE. Wir stiegen ein! Wir erforschten die Szene! Ja, ja: Das gefiel uns! Das war unser Ding! Das war das, wovon wir im Westen in unserer uns erwürgenden Kleinstadt immer geträumt hatten! Ja, und wir beurteilten und verurteilten alles, was uns in die Quere kam. Der Umgangston dabei war oft reichlich roh! Das mußte so sein! Und das konnten wir. Wir waren dabei. Wir gehörten dazu. Gehörten dazu! Gehörten zu KREUZBERG 36! K 36! Welch ein Stadtteil!
Die aus dem anderen Kreuzberg, aus Kreuzberg 61, die interessierten uns nicht! Nur K 36 zählte! Denn: WIR WAREN DIE MACHT. WIR WAREN DIE KRAFT! WIR BESTIMMTEN DIE BEZIEHUNGEN! Ja, das war unser Ding: Die B e z i e h u n g e n bestimmten wir allein: Entweder lockere zu dem Einen oder festere zu dem Anderen, je nachdem. Doch diese Beziehungen bestimmten uns nicht allein!
Bestimmend waren genauso die Verhältnisse, Situationen, Ereignisse, eigentlich alles, was uns umgab, was auf uns zu kam, was wichtig war! Es war schon von Bedeutung, mit wem man zusammen „einfuhr", festgenommen wurde, in die Wanne geworfen wurde oder mit dem verlängerten Arm des Gesetzes, dem Knüppel, eins übergezogen bekam. Denn, mit dem Knüppel in der Tasche fühlt sich stark die schwächste Flasche!
Und sei es auch nur, weil man zum Jahrestag des MAUERBAUs diese eklige, dreckige SCHANDMAUER mit BLÜMCHENTAPETE verzierte. Na klar, die Bullen kriegten Dich und ein paar Andere am Arsch, führten Dich ab, ließen Dich einen Striptease auf der Wache dafür tanzen! Hoppsassa, die Beine breit: Hast Du aber dreckige Füße! So wurden Freundschaften gefestigt!
So ergaben sich neue Aspekte für unsere REVOLUTIONÄRE ZUKUNFT. Wie schnell solche Dinge und Vorgänge vergessen werden können, daran wagten wir überhaupt nicht zu denken. WIR WAREN DABEI!
Dann war da das Ding mit der RAZZIA in unserer Stampe. Die Bullen kamen rein und wollten ALLE kontrollieren! Nadanke! Na bitte! Dann nahmen DIE eine von den Mädchen mit! WARUM? Weil sie sich angeblich nicht ausweisen konnte! Hahaha! Der eigentliche Grund: Auf der Wache sind DIE immer geil drauf, wenn 'nen Mädchen mal wieder vorgeführt wird! Ja, und dann gings ab mit IHR in die Wanne vor der Tür! Was sollte das? Soooh nicht, MEINE HERREN, so nicht! SIE gehörte zu uns, zu uns in Kreuzberg 36, K 36!
Und dann gings richtig los: Wir nichts wie raus und raus, rissen die Türen auf! Na klar: „Versuchte Gefangenenbefreiung UND Gelungene G e f a n g e n e n b e f r e i u n g ! " Großes Gezeter, große Aufregung, großes Geschrei. Wir setzten uns vor die Wanne. Die FRONTEN prallten aufeinander!!! War das ein DURCHEINANDER! Angst stand in den Augen von DENEN. Dann hauten sie ab, die Staatsknechte, ohne das Mädchen mit durchdrehenden heulend quietschenden Rädern. Freundlicherweise hatten wir DENEN den Weg freigegeben, die Belagerung aufgegeben. SIE hauten ab! Ohne Festgenommene!
DAS WAR UNSERE KRAFT! DAS WAR UNSERE MACHT! Wir gehörten zusammen. Wir in Kreuzberg 36, in K36! Doch die MÄCHTIGEN geben ihre FRONT nicht so einfach freiwillig auf! Zwei Wochen später kamen DIE dann wieder mit ihrer eigenen POWER! Mit 'ner Hundertschaft ausgesuchter BRUTALOS, trainiert auf bösartiges DRAUFSCHLAGEN, erfahren durch zahlreiche Demos. KAPUTTSCHLAGEN war ihr MOTTO!
Und das ALLES nur aus Rache für unser GEMEINSAMES HANDELN. Draufschlagen konnten sie wirklich, das mußte man ihnen zugestehen: Lothar haben sie sogar aus seinen Motorradstiefeln gehauen, er lief dann auf sei¬nen Socken nach Hause. Ja wir gehörten dazu, waren Revolutionäres Potential! Waren die Nacht¬wachen in der BESETZTEN FEUERWACHE, einer unse¬rer ersten Kommunikationszentren. Inzwischen ist das alles abgerissen. Heute stehen da Betonklötze. Und dann noch: Die in grauen Hinterhäusern gedruckten Untergrundzeitungen, Dinge und Aktionen, die man besser nicht beim Namen nennt. Wir gehörten dazu! ÜBERALL EUPHORIE! KREUZBERG 36! K36! Von hier wird die zukünftige „WELTREVOLUTION" starten, dessen waren wir uns gewiß! Kreuzberg ist so wundervoll, das war unser SONG. W i r waren angesagt:
KREUZBERG IST SO WUNDERVOLL
DIESE GEILEN AUSSENKLOOHS
DIESE GRAUEN BETONSILOOHS
WENN ICH DURCH DIE STRASSEN GEH
UND DIE BESÄTZTEN HÄUSER SEEH
DURCH DIE STRASSEN GEHEN
FAHAHNEN WEHN, FAHNEN WEHN IM WIND
UND DIE LEUTE AUS DEM BESETZTEN HAUS
WINKEN MIR ZUM FENSTER RAUS
EINS-ZWEI-DREI, LASST DIE LEUTE FREI
IS DOCH WIRKLICH EINERLEI,
ES IST DER GROSSE DER GROSSE
UND DER KLEINE KNAST
KREUZBERG IST SOOH WUNDERVOOHHOOLL
WIDMUNGEN:
Dieses Buch ist vor allen Edgar Domin gewidmet, der immer straight geblieben ist, und Melanie Strauch, die immer ein idealer Partner gewesen ist, sowie all denen, die positive Einflüsse auf unsere Gesellschaft ausgeübt haben, als da sind Leffy Flamingo, Kitty Sidney, Gipsy Queen, Fritz Lacompre, Sascha Hammer, Mabel, Wieland Speck, Elsa, Rosi Rocca, Zazie de Paris (was für ein Parfüm), Java, Nina Hagen, Manne Praeker, Walter, Transplantis, Artur Utz, Eduard Garnich, Karl Schall und Aron Hammerschlag, denn sie sind die wahren Urheber dieses Buches. Und nicht zu vergessen sind Karin und Bernd Kramer, ohne die dieser Papierhaufen gar nicht auf den Markt gekommen worden wäre. Ebenso ist dieses Buch allen VOLLGAS- und MDK-Musikern gewidmet, die mit ihren Instrumenten die Ideen weitergetragen haben. Dazu gehören außer all den Ungenannten besonders Franz, Trixi, Lothar, Karl, Uli, Markus, Borsig, Stephan, Jane, Karsten, Whitie, die Schwarze Witwe, George, Frankenstein sowie Strubbel und Olaf vom FRONT-THEATER. Und genauso ist dieses Buch all denen gewidmet, die einen negativen Einfluß auf unsere Gesellschaft ausgeübt haben, als da sind alle Arbeitgeber mit ihren unmenschlichen Pedanterien, alle Banken, die nur alle verarschen, und alle Bundesdruckereien, die allen das notwendige money druckten!
IMPRESSUM:
Die Fotos von der UHA-Moabit und vom Frauen-Knast in der Lehrter Straße für das Kapitel „Kommunikation muß sein" auf den Seiten einhundertzehn und einhundertzwölf bis einhundertfünfzehn stellte uns Rainer Berson, Berlin, unter der Bedingung zur Verfügung, daß wir keine Ziwis sind. Das Foto von dem „Umarmten Polizisten" im Kapitel „Kommunikation" auf Seite zweiundsiebzig entdeckten wir bei Winfried Wolf, Berlin, der diese Aufnahme aus Frankfurt mitbrachte. Alle anderen Fotos und Fotomontagen entstammen dem zeitgenössischen Aufnahmearchiv von Dietmar Kirves, Berlin. — Die Zeichnung auf Seite sechsundvierzig mit der Person, die das MDK-Zeichen trägt fertigte Melanie Strauch, Berlin, extra für dieses Buchvorhaben an. Die Strichzeichnung von dem Power-Man in Harnisch im Kapitel „Toleranz" auf Seite achtundsechzig entstammt einem unbekannten Comix-Heft und wurde schon mal für ein Flugblatt anläßlich einer Solidaritätsveranstaltung für eine Nürnberger Schwulengruppe in Berlin (Prozeßkosten wegen Demo gegen NPD) verwendet, bei der MDK spielte. Die Zeichnungen auf den Seiten vierundsiebzig "Der schießende Polizist", sechsundachtzig "Die Toten im Stadtplan", und vierundneunzig "Streitende Personen entstammen dem Buch "100 Tabus" von Dietmar Kirves, erschienen in Köln 1983, und wurden uns von der Edition Hundertmark freundlicherweise zur Verfügung gestellt. — Das Vorwort auf Seite fünf übergab uns der ungenannt bleiben wollende Herr D. K. zur Veröffentlichung. Der Songtext auf Seite dreiundzwanzig "Wir sind die Truppen von Morgen" wurde von den Vibrators getextet. Der Text auf den Seiten einhundertdreiunddreißig und -vierunddreißig über die Ereignisse beim Anarchistenball im SO 36 wurde von Franz und Jörg vom Kronstadt-Komitee geschrieben und bereits in der Zeitschrift "radikal" am 1.4.1981 veröffentlicht. Das Kapitel "Über die Neue Deutsche Welle" auf den Seiten einhundertsechsundsechzig bis einhundert-dreiundsiebzig wurde nach einem "Libretto" von Ul i Radke geschrieben. — Das zweite Flugblatt "2. Botschaft über die Lage der Nation" wurde uns freundlicherweise von Ratten-Jenny zur Verfügung gestellt, da es im Archiv nicht mehr auffindbar war. Das fünfte Flugblatt hat sich so weit verflogen, daß es nicht mehr abgedruckt werden konnte. — Das Layout, den Umschlagentwurf und die Textbearbeitung nach einem Manuskript von Volker Hauptvogel besorgte Dietmar Kirves, ebenso den Satz für dieses Buch. — Das Copyright liegt beim Kramer Verlag, Berlin, und den Autoren. Dies ist die erste Auflage, erschienen im Sommer 1983, die die Druckerei Dieter Dressler, Berlin, druckte.

© https://kirves.no-art.info/de/!publikationen/1983_verweigerer.html
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